Zunächst einmal sorry für die Absenz. Der Frühling ist endlich da, die Temperaturen kletterten auf über 20 Grad und da war mir mehr danach, draussen zu sein und meine tägliche Dosis Vitamin D zu kriegen, als im stillen Kämmerlein zu schreiben.
Der Grund, wieso ich mich für rund vier Monate ins Ausland abgesetzt habe, ist in meinem Blog noch gar nicht wirklich zur Sprache gekommen und immer wieder werde ich gefragt, wie mein Studium und das Studi-Life hier so läuft. Gut, danke der Nachfrage. Es gibt eine Menge darüber zu erzählen und aus diesem Grund habe ich entschieden, dieses etwas umfangreichere Thema in drei Teile aufzusplitten, die ich im Wochentakt mit dir teilen werde.
Solltest du die Universität in Borås für dein Auslandssemester in Betracht ziehen, könnte insbesondere der erste Teil interessant für dich sein.
TEIL I
Wer mich kennt, der weiss, dass meine Tage zu Hause vollgepackt mit Terminen sind. Ich studiere im Teilzeit-Modell, arbeite 80%, bin eine liebevolle und fürsorgliche Pferde-Mama und natürlich müssen Freunde und Familie in meinen 24 Stunden auch noch Platz finden.
Als ich hier angekommen bin, konnte ich erstmal nicht mit meiner neu gewonnenen Freizeit umgehen, obwohl ich hier so was wie eine “Vollzeit”-Studentin bin. Was “Vollzeit” in diesem Zusammenhang bedeutet, braucht ich wohl niemandem zu erklären. Zu vielZeit? Ein Luxusproblem, ich weiss.
Högskolan i Borås
Das Semester wird jeweils weiter in zwei “Perioden” unterteilt (im Frühlingssemester sind das P3 von Mitte Januar bis Ende März und dann P4 von April bis Mitte Juni). Insgesamt habe ich mich für vier Kurse eingeschrieben, von denen ich drei bereits in P3 abgeschlossen habe. Das bedeutet, dass ich durchschnittlich sechs bis acht Stunden pro Woche Vorlesung, also Kontakteinheiten mit meinen Dozierenden, habe. Jetzt in P4 ist mein Zeitaufwand wesentlich kleiner (Ja, das geht).
Die Uni in Borås, verglichen mit der FHNW in der Schweiz, ist ziemlich gemütlich. Die Vorlesungen machen den kleinsten Teil meines “daily schedules” aus. Etwas mehr Zeit investiert man ausserhalb der Unterrichtszeiten, um sich für die Projektarbeiten mit der Gruppe zu treffen, was aber ganz schön ist, weil man so echt viele neue Leute aus allen Teilen der Welt, verschiedene Denkweisen und Kulturen kennenlernt und auf diese Weise seinen Horizont erweitern kann. Ich will aber nicht vorgreifen, mehr zum Thema Kultur (insbesondere zur Schwedischen) gibts im zweiten Teil.
Um ein Fach abzuschliessen, schreibt man in aller Regel eine Gruppenarbeit im Umfang von rund 2500 Wörtern (was man sich in der Gruppe aufteilen kann und somit nur noch ein lächerlich kleiner Teil pro Person zu schreiben ist). Die Arbeit wird am Ende der Periode in einer Vorlesung präsentiert. Zusätzlich muss noch eine Prüfung abgelegt werden (entweder online oder ganz alte Schule mit Stift und Papier). So war das zumindest bei meinen Kursen Change in Organisation, International Marketing und International Management. Solltest du den Schwedisch-Sprachkurs belegen (was ich dir rate), gilt es, eine mündliche Prüfung in der Gruppe und eine Textverständnis-Prüfung abzulegen, sowie einen Text über ein vorgegebenes Thema in Schwedisch und einen Text über die schwedische Kultur in Englisch zu schreiben. Im Übrigen erhält man für jeden Kurs 7.5 ECTS.
Solltest du passionierte/r Finanzler/in sein, wirst du hier nicht auf deine Kosten kommen (hehe Wortspiel). Zumindest nicht im Frühlingssemester. Wenn du – wie ich – Zahlen und alles, was damit zu tun hat, verabscheust, wirst du hier eher passende Kurse finden. “Aber Naomi, wieso studierst du denn Betriebswirtschaft?”, fragst du dich vielleicht zu Recht. Obwohl 85% meines Lernplans aus irgendwelchen Finanzfächern besteht, finde ich die restlichen 25% (Spass! Wollte dich nur testen. 15% natürlich)echt mega spannend und die gehen schon eher in die Richtung, wo ich mich auch weiterhin in Zukunft sehe: Corporate Communications. Ich schweife ab. Also, wenn du deine Finance-Kenntnisse erweitern oder vertiefen willst, bist du in Borås an der falschen Adresse. Dennoch bietet die Uni einige (wenige) Business Kurse an. Die Högskolan i Borås ist eher bekannt für die Mode- und Textil-Hochschule (was man den meisten Leuten am Kleidungsstil ansieht) oder die Bibliotheks- und Informationswissenschaften.
Die Dozierenden sind sehr nett und flexibel (und ich sag das nicht, um mich einzuschleimen). Weil ich Ende Januar noch meine Prüfungen an der FHNW absolvieren musste, habe ich die ersten beiden Wochen des Semesters in Borås verpasst. Vorab habe ich das mit dem International Office besprochen und konnte dann in Absprache mit den Dozierenden eine Lösung finden. War absolut kein Problem.
Übrigens, manchmal habe ich das Gefühl, dass Stundenpläne reine Formsache sind. Du hast eine Vorlesung von neun bis zwölf Uhr? Nope! Plane deinen Lunch für 11 oder 11.30 ein, das reicht locker.
Ein Dach über dem Kopf
Das International Office gibt dir alle benötigten und hilfreichen Informationen, um deinen Start ins Auslandssemester so einfach wie möglich zu machen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Wohnsituation für Studierende. In Borås gibt es eine Agentur, die Wohnungen und Zimmer in Wohngemeinschaften in verschiedenen Teilen der Stadt vermietet. Da es aus der Ferne etwas schwierig einzuschätzen ist, worauf man sich genau einlässt, gibts hier meine ganz ehrliche und ungefilterte Meinung dazu.
Für mich war von Anfang an klar, dass ich meine eigenen vier Wände mit eigener Küche und eigenem Bad brauche. Nenn mich eitel, aber ich kenne meine Grenzen nun mal. Vielleicht erlangt man diese Weisheit mit dem Alter? Ich habe also gut einen Monat vor Anreise über das Online-Portal der Agentur meine Wohnung (40 m², möbliert, eigene Küche, eigenes Bad) in Distansgatan gebucht. Das liegt im Stadtteil Hässleholmen (tue dir selbst einen Gefallen und google das auf keinen Fall, bevor du hier hin ziehen solltest. Vermutlich machst du’s aber trotzdem. Selber schuld). Als ich im Januar hier angekommen bin, dachte ich erstmal “Wie soll ich das vier Monate hier überleben????”Leider sind die Zimmer und Wohnungen sehr alt und teilweise in echt miserablen Zuständen und obwohl die Agentur gratis Internet anbietet, musst du erstmal einen Router kaufen. Haben die in den Vertragsdokumenten, bei der Schlüsselübergabe oder bei der Informationsveranstaltung vergessen zu erwähnen. Kann halt mal passieren. (Ironie!)Auch Besteck, Pfannen oder Töpfe, Küchen- oder Putzutensilien musste ich erstmal selbst organisieren. Wollte dann online schauen, wo der nächste Media Markt oder die nächste IKEA Filiale ist. Ah warte, da war ja was… #NoConnection #DigitalDetox
Die Wasch-Situation ist auch gewöhnungsbedürftig. Obwohl man seine Zeit buchen muss, werden die Waschpläne gekonnt ignoriert. Wer zuerst da ist, wäscht zuerst. Und zwar im Waschraum mit fünf Waschmaschinen und drei Trocknern. Die teilt man mit… mal sehen: Fünf Häusern, mit jeweils vier Stockwerken, auf denen es jeweils drei Wohnungen gibt, in denen durchschnittlich 3–4 Bewohner leben. Ja, kannst mal ausrechnen (ich werd’s definitiv nicht für dich tun). Um waschen zu können, musst du aber erst mal den Weg dorthin finden. Gleicht einem Labyrinth in einem schlechten Hollywood-Streifen.

Die Bushaltestelle ist aber ganz in der Nähe, falls du DG oder dem “Ghetto” (wie wir Distansgatan mittlerweile nennen) mal entfliehen und in die Stadt fahren möchtest. Oder du spazierst durch den angrenzenden Wald zum schönen Kypegarden.
Du siehst, ich war schon ganz zu Beginn gezwungen, meine Komfort-Zone zu verlassen. Auch nicht schlecht.
Sollte sich Distansgatan nicht verlockend für dich anhören (sorry, not sorry), empfehle ich dir, die Wohnungen in Simonsland in Betracht zu ziehen. Die sind neu und nur gerade zwei Minuten von der Uni entfernt. Die kosten zwar etwas mehr und sind nicht möbliert, aber die Uni stellt dir die benötigten Möbel für die Dauer deines Aufenthaltes zur Verfügung. Du musst also nicht alles neu kaufen. Wahrscheinlich gibts jetzt einige Einwände wie “Aber dann verpasst du die ganzen Pre-Game-Parties”. Das mag für das jüngere Publikum stimmen, aber nicht für mich. Das eine Mal, als ich zu besagtem Social-Event hingegangen bin, sassen wir einfach in einem Kreis, der einem AA-Treffen glich, nur dass wir uns eben hätten volllaufen lassen wollen. Awkward. War nicht meins. Leben und leben lassen. #NoHate.
Abgesehen davon befindet sich Simonsland in der Nähe des Stadtzentrums, ergo näher bei den ganzen Bars und Clubs. Was mich zum nächsten Thema bringt.
Das Nachtleben in Borås
Bevor du dir Hoffnungen machst, muss ich dir sagen, dass sich die Party-Szene auf zwei grössere Clubs beschränkt, von denen ich einen gar nie besucht habe, weil der offenbar mehr High-End sein soll. Donnerstags gehen die Studis normalerweise zum Club XoY, wo man bis 23 Uhr von einem freien Eintritt und halben Preis auf die Drinks profitieren kann. Im Vergleich zur Schweiz — wo man normalerweise erst nach Mitternacht in die Clubs geht, weil sie erst um vier oder fünf in der Früh schliessen – schliessen die Clubs hier bereits um 2 Uhr. Das ist aber der einzig grössere Unterschied. Und dass hin und wieder ein schwedisches Lied gespielt wird. Und dass hier nicht die Männlein die Weiblein ansprechen, sondern andersrum (…). Ansonsten hängen wir auch gerne im Cheers ab, einer Bar, in der man Darts, Billiard oder Shuffle-Board spielen kann.
Für Viele, mich bis zu einem gewissen Grad eingeschlossen (räusper),gehören alkoholische Getränke zum Ausgehen dazu. Hier mal ein paar Fakten.
Wenn du über 3.5 Prozentiges kaufen möchtest, kannst du das nur bei Systembolaget tun, einer staatlichen Kette von Spiritousenläden in Schweden, deren Öffnungszeiten limitiert sind. In Borås stehst du dort samstags nach 15 Uhr und sonntags vor verschlossenen Türen. Du kannst dir natürlich jederzeit in einer Bar oder einem Restaurant einen Drink gönnen. Nicht aber beim Pick-Nick mit Freunden oder beim Abhängen am See, denn der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ist nicht gestattet. Manchmal toleriert, aber eigentlich verboten. Skål!
Die Studentenvereinigung “Studentkåren” organisiert auch immer mal wieder Events in der Uni-eigenen Location, dem Kårner. So auch “Sittnings”, die hier voll der Renner zu sein scheinen. Das sind Dinner-Events, meist unter einem Motto, bei denen man sich entsprechend (ver-)kleidet, singt und einfach eine gute Zeit hat. Ich habs selber leider nie zu einem Sittning geschafft, aber geh unbedingt hin, wenn du die Gelegenheit hast.
Letzte Woche war ich an einer “Silent” Party. Da erhält jeder Gast ein paar Kopfhörer, auf denen drei verschiedene Musik-Kanäle laufen, zwischen denen man hin-und herschalten kann. Je nach Kanal leuchten die Kopfhörer in einer anderen Farbe. Immer wenn ich die Kopfhörer abgenommen habe, konnte ich den restlichen Besuchern lauschen, wie sie zu ihren Liedern gesungen / geschrien / gegrölt haben. Witzig, auf wie viele verschiedene Arten Musik tänzerisch interpretiert werden kann. Das Konzept find ich cool: Du kannst entweder a) jeglicher Konversation aus dem Weg gehen oder b) checken, ob dein Musikgeschmack mit dem des gutaussehenden Typens an der Bar übereinstimmt. Das Motto war musikalisch den 70er Jahren gewidmet und ja, uns hatte das Saturday Night Fever fest im Griff (Flachwitz-Alarm).
Sports Night
Die ganzen Kalorien, die man beim Ausgehen zu sich nimmt, müssen auch irgendwie wieder verbrannt werden. Gut gibt’s da zwei Mal die Woche ab 21 Uhr die Sports Night. Montags kann zwischen Badminton und Basketball ausgewählt werden und mittwochs wird Volleyball gespielt. Jetzt, wo es allmählich wärmer wird, treffen wir uns auch hin und wieder zum Beach-Volleyball in Kypegården. Jeder ist willkommen, egal welches Niveau. Wer Spass am Sport hat, ist da auf jeden Fall gut aufgehoben.
Das sind nur einige Beispiele, wie man mit anderen Austauschstudierenden oder Einheimischen in Kontakt kommen kann. Es gibt noch eine ganze Menge anderer Sachen, die man in und um Borås so unternehmen kann, dazu aber mehr in Teil II und III.
Nächste Woche. Selbe Zeit, selber Ort.
Bis dann!
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Naomi studiert an der FHNW in Basel Betriebsökonomie und arbeitet nebenbei 80% bei der Roche. Das 6. Semester verbringt sie ihm hohen Norden und erlebt dort einer der besten Zeiten ihres Lebens. Sie gibt uns mit drei spannenden Beiträgen einen Einblick in ihren Alltag in Schweden. Wer gerne noch mehr von Naomi wissen möchte, kann ihren persönlichen Blog besuchen. Wir können euch diesen wärmstens empfehlen.